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Werdet, was Ihr seid!

Jesus würde heute vielleicht folgendes Gleichnis erzählen:
"Das Himmelreich gleicht den Bienen, die fleißig Honig sammeln. Sie fliegen ohne Unterlass immer wieder zu den Blüten. Mit ihrer Arbeit bestäuben sie jede Blüte, auf dass diese zur Frucht heranreifen kann."

Seine Freunde würden zu ihm kommen: "Erkläre uns dieses Gleichnis." 
Die Blüten sind die Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, die alt oder krank sind. Die Bienen sind jene, die helfen, die pflegen, die vor Ort zupacken, die zuhören. Sie tragen dazu bei, dass Menschen nicht vereinsamen oder verkümmern, dass Leben seine Würde behält. Dort bricht das Himmelreich an. Es ist so köstlich und heilsam wie der süße, goldene Honig.


Wenn Gott für uns ganz da ist, dann ist es die beste christliche Botschaft, wenn wir selbst für andere da sind: als pflegende Person, als Lehrkraft, als Ehepartner oder schlicht als Nachbarin und Freund. Ich sehe es für mich als zentrale Lebensaufgabe an, dazu beizutragen, dass andere und ich selbst tiefer in unserer Persönlichkeit und unseren Beziehungen reifen können. Hier greift das Bild der Biene: Sie dient - ob sie es will oder nicht - der Blüte, die erst durch sie reifen kann.

"Werdet, was ihr seid!" Darin drückt sich eine Spannung aus, die nicht aufgelöst wird: Zunächst „sind“ wir, weil Gott es will. Und in seiner Liebe hat er uns so angenommen, wie wir sind – ohne Wenn und Aber, von Anfang an -, und bleibt uns unser ganzes Leben lang treu.

Das ist – theologisch ausgedrückt - die Grunderfahrung und tiefe Sehnsucht des Menschen: So, wie wir sind, sind wir geliebt. Dieses Grund- oder Urvertrauen ist zwar von unseren Eltern und anderen Menschen vermittelt, aber es weist darüber hinaus. Denn so können wir Menschen trotz allen guten Willens nicht lieben. Diese Liebe, nach der wir uns sehnen, nennen wir "göttlich". Wir Christen glauben, dass diese Liebe uns handfest mit Jesus zugesagt ist.

Weil wir so geliebt sind, können wir uns entfalten. Es ist für mich nicht in erster Linie ein Sollen, kein moralischer Anspruch, sondern eine Möglichkeit, eine Begabung, ein Geschenk, eine Gnade. Was mich antreibt, ist weder eine Belohnung im Jenseits und auch mehr als ein moralischer Imperativ: Was mich antreibt, ist die Freude und die Dankbarkeit, dass ich so geliebt bin. Die Sehnsucht der Geliebten im Hohen Lied, zueinander zu finden, dem anderen wohlwollend zu sein, ihm Gutes zu wünschen und entsprechend zu handeln.

Es ist schade, dass wir dem im Alltag so sehr hinterherhinken und dass wir in unserem Grundvertrauen so kleingläubig sind. Aber Gott lächelt uns ganz liebevoll dabei an. Das ist versöhnlich. Ich wünsche Ihnen viel Zuversicht und immer weiter wachsendes, vertiefendes Gottvertrauen.

Bardo Diehl

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